Quo vadis Großbritannien?
Heute entscheidet das britische Unterhaus über das Austrittsabkommen aus der EU. Mit einem Sieg von Premierministerin May rechnet wohl niemand mehr. Es geht allein darum, wie hoch sie verliert.
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Wochenlang drohte Theresa May: „Mein Deal oder kein Deal.“ Doch einen Tag vor der Abstimmung über das Austrittsabkommen an diesem Dienstag variierte sie ihre Warnung: Wer ihrem Deal nicht zustimme, riskiere, dass Britannien in der EU bleibe. In einer Rede vor Fabrikarbeitern in der Brexit-Hochburg Stoke-on-Trent, drei Autostunden nördlich von London, sagte die Premierministerin am Montag: „Auch wenn ,No-Deal‘ ein ernstes Risiko bleibt, bin ich zu dem Urteil gekommen, dass das wahrscheinlichere Ergebnis eine Lähmung im Parlament wäre – mit der Gefahr, dass es keinen Brexit gibt.“
Natürlich zielte Mays Rede auf die Parteifreunde in ihrer Fraktion, die einen Austritt wollen, aber nicht nach den Maßgaben des vorliegenden Abkommens. Das Lager, das auf hundert Abgeordnete geschätzt wird, reagierte unbeeindruckt. Die Regierung arbeite mit „Drohungen und Angstmache“, sagte die frühere Arbeitsministerin Esther McVey, die wie so viele das Kabinett aus Protest gegen den Deal verlassen hatte. Gemeinsam mit elf ehemaligen Ministern hatte sie zuvor einen Brief an die Tory-Fraktion geschrieben, in dem die Absender Haltung einforderten: Es sei „richtig, den Deal niederzustimmen“, weil dies eine „bessere Zukunft für unsere Partei, unser Land und seine Menschen freigibt“.
Die Rebellen wollen Taten, nicht Worte
Mays Peitsche knallt nicht. Aber auch ihr Zuckerbrot ist nicht geeignet, die Brexit-Rebellen – das mit Abstand größte Lager der Gegner ihres Deals – umzustimmen. Der Brief aus Brüssel, den sie am Montag im Unterhaus präsentierte, blieb noch hinter den geringen Erwartungen zurück. Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bekräftigten darin nur die Absicht, den umstrittenen „Backstop“ für Nordirland nicht in Kraft zu setzen oder aber zeitlich möglichst kurz zu halten. Damit hätte die EU „absolut klar gemacht, dass der ,Backstop‘ weder eine Bedrohung noch eine Falle ist“, interpretierte May das Schreiben. Doch es bleiben Worte – und die Rebellen wollen Taten. Sie verlangen eine Änderung des Abkommens mit der rechtsverbindlichen Garantie, dass Britannien souverän über das Inkrafttreten und die Länge des Notfallplans entscheiden kann.
Unzählige Vier-Augen-Gespräche führte May in den vergangenen Wochen, und zuletzt taten Abgeordnete vereinzelt sogar kund, sie würden nun doch für das Abkommen stimmen. Aber der Widerstand schmolz nicht annähernd auf ein Maß zusammen, das die Regierung optimistisch stimmen könnte. Als May in Stoke-on-Trent gefragt wurde, ob sie noch an einen Sieg glaube, wich sie der Antwort aus. Die lieferte Handelsminister Liam Fox, einer ihrer treuesten Mitstreiter im Kabinett. Eine Bestätigung des Deals sei „nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich“, gab er zu. Der Westminster-Korrespondent der BBC, Norman Smith, sagte: „Das einzige Spiel in der Stadt ist nun, die Niederlage zu begrenzen.“
Die Anzahl der Stimmen gegen den Deal dürfte darüber entscheiden, wie es weitergeht. Sollte May – wie sich seit Wochen abzeichnet – mit etwa 200 Stimmen Unterschied verlieren, wäre dies die schwerste Niederlage einer Regierung, an die sich die Westminster-Beobachter erinnern können. Mays ohnehin angekratzte Autorität wäre dann schwer beschädigt, was dieLabour Party ausnutzen könnte, um noch in der Nacht ein Misstrauensvotum einzubringen.
Was gelten Versprechen noch?
Bislang haben selbst jene Tories Treue geschworen, die May noch vor kurzem als Parteichefin loswerden wollten. Auch die nordirische DUP, die Mays Minderheitsregierung seit eineinhalb Jahren toleriert, signalisierte, sie würde May so lange unterstützen, wie der Deal nicht unter Dach und Fach sei. Aber was gelten solche Versprechungen in einer emotional aufgeheizten Nacht?
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