Angst vor der Heimat? Warum eigentlich?
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Joseph Vilsmaier brachte 30 Jahre lang deutsche Geschichte ins Kino wie kein anderer. Jetzt ist er gestorben. Nachruf auf einen großen Regisseur, der lebte wie er drehte – aus dem Bauch heraus.
„Irgendwann“, hatte er vor einem Jahr in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag gesagt, „irgendwann will ich am Set bei Dreharbeiten tot umfallen.“ Ganz hat das für Joseph Vilsmaier nicht geklappt.
Aber vor drei Wochen war er noch am Set seines neuesten Films „Der Boandlkramer und die ewige Liebe“, ein Tag Nachdreh mit Bully Herbig, auch den Schnitt hat er noch fertig gekriegt. Der Boandlkramer ist eine zutiefst bayerische Figur, ein Euphemismus für den Tod, der aber nicht herrisch auftritt, sondern freundlich zur Mitfahrt ins Jenseits einlädt.
Sepp Vilsmaier war auch eine zutiefst bayerische Figur. Seinen Achtzigsten feierte er mit seiner neuen Lebensgefährtin, seinen drei Töchtern und engen Freunden. Wie viele „enge Freunde“ denn dagewesen seien, fragte der „AZ“-Interviewer. „Etwa 140“, antwortete Vilsmaier.
Niemals die Kamera aus der Hand geben
Seine Firma „Perathon“ war ein Familienunternehmen. Seine Frau Dana Vavrová spielte in einem halben Dutzend seiner Filme die Hauptrolle. Beider Töchter Janina, Theresa und Josefina standen von Kindesbeinen an vor der väterlichen Kamera.
Das ist durchaus wörtlich zu nehmen – einerseits weil der Vater Theresas Geburt filmte und in seinen Film „Rama Dama“ hineinschnitt, andererseits, weil Vilsmaier die Kamera nie aus der Hand gab, auch nicht, als er zum Regisseur aufgestiegen war.
Aus einem Franziskanerinnen-Internat heraus war der Joseph mit 14 zur berühmten Münchner Firma Arri gekommen, hatte eine filmtechnische Ausbildung absolviert und sich zum Kameramann hochgearbeitet. 20 Jahre lieferte er die Bilder für eine eklektische Reihe von Kino- und Fernsehfilmen, von Didi Hallervorden über Tatorte und das Bergarbeiter-Drama „Rote Erde“ bis zu der Manès-Sperber-Verfilmung „Wie eine Träne im Ozean“.
Dann, als er schon 48 war, änderte sich alles. Vilsmaier fielen die Memoiren der Pfarrkirchener Bäuerin Anna Wimschneider in die Hände, die über Jahrzehnte den Haushalt einer Großfamilie geführt hatte, und Vilsmaier kaufte die Rechte, lange bevor das Buch zwei Millionen Exemplare verkaufte.
Nun hatte das Bayerische Fernsehen immer mit Verve seine patriotische Pflicht erfüllt, heimatliche Gefühle im Regionalprogramm zu fördern. Im Kino jedoch, diesem bundesweiten Medium, hatte „Heimat“ nie eine Rolle gespielt.
Auch Edgar Reitz’ „Heimat“ war eine Fernsehproduktion gewesen, allerdings mit weltweiter Resonanz. Das ermutigte Vilsmaier. Er verpflichtete den „Heimat“-Drehbuchautor Peter Steinbach, gründete seine Perathon, trieb zwei Millionen Mark auf und heiratete noch während des Drehs seine Hauptdarstellerin Dana Vavrová. Das Wagnis ging auf, in jeder Hinsicht.
So wie Reitz seine „Heimat“-Geschichtsschreibung über drei Jahrzehnte fortsetzte, hat auch Vilsmaier 30 Jahre Filme über Deutschlands Geschichte gedreht, lange bevor Nico Hofmann das Feld für sich besetzte. Da war „Stalingrad“, ein brutales Schlachtengemälde, ein Anti-Kriegsfilm, allerdings merkwürdig unpolitisch, wie aus dem Zusammenhang von Faschismus und Kommunismus gerissen.
Da war „Rama Dama“, ein Hohelied auf die Trümmerfrauen nach dem Krieg. Da waren die „Comedian Harmonists“, Vilsmaiers bester Geschichtsfilm, der – so unterhaltsam und anekdotisch er war – ein präzises Bild der politischen Situatuion vermittelte.
Da war „Marlene“, der die entscheidenden Jahre in deren Karriere beschrieb, vom „Blauen Engel“ bis zu ihrer Etablierung in Hollywood. Da war „Leo und Claire“, die wahre Geschichte der eklatantesten Rechtsbeugung im Deutschland des frühen Nationalsozialismus.
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